Ist Organspende für einen Christen gestattet?

Fragestellung. Im März 2012 wurde vom Deutschen Bundestag ein neues Organspende-Gesetz verabschiedet, welches am 01. August desselben Jahres in Kraft trat. Danach sollen ab November 2012 alle Erwachsenen gefragt werden, ob sie im Falle ihres Todes bereit wären, ihre Organe für andere Menschen zu spenden. Was oft noch vor einigen Jahrzehnten als unmöglich erschien, wurde seit einer geraumen Zeit durch den Fortschritt in der Medizin möglich gemacht - nämlich die Entnahme und Verpflanzung verschiedener menschlicher Organe zum Zweck der Lebensrettung, der Lebensverlängerung und der Verbesserung der Lebensqualität von kranken Patienten. Wie steht die katholische Kirche zu dieser ethischen Frage? Gestattet sie grundsätzlich Organspende oder lehnt sie sie entschieden ab?
Nun, zunächst dazu vielleicht einige allgemeine Hinweise. Da die Organspende grundsätzlich eigentlich erst seit dem 20. Jahrhundert ermöglicht wurde, sind wohl dazu kaum Stellungnahmen Roms aus früheren Zeiten zu erwarten. Ferner ist diese Frage in Bezug auf zwei Bereiche zu unterscheiden und zu behandeln: Organspende von einer lebenden Person und die Nutzung der Organe einer verstorbenen Person. Außerdem greifen bei dieser ganzen Thematik wie bei vielen anderen ethischen Fragen mehrere an sich legitime moraltheologische Grundsätze ineinander, so dass man bei der Untersuchung der gestellten Frage versuchen soll festzustellen, welches der Prinzipien stärker wiegt bzw. unter welchen Umständen es erst sozusagen zum Zuge kommen kann und darf.
Organspende von einer lebenden Person. Das erste Prinzip, welches hier berücksichtigt werden muss, ist die körperliche Unversehrtheit des potentiellen Spenders. Da nur Gott als Schöpfer absolut über das Leben eines Menschen verfügt, ist auch der Leib dem Menschen geschenkt, über welchen er also nur eine Art Verwalter ist. Wir haben ein bloß relatives Recht über unseren Leib und unser Leben. Jede frevelhafte, d.h. durch keinen schwerer wiegenden Grund gerechtfertigte Schädigung der Gesundheit oder sogar gänzliche Vernichtung des Lebens ist daher eindeutig unsittlich. So dürfen zwar z.B. selbstverständlich notwendige Operationen durchgeführt werden, sofern dadurch berechtigter Anlass zur Hoffnung auf Besserung des Gesundheitszustandes des Patienten besteht oder auch nur sein baldiges Ableben verhindert wird. Aber auch da darf ein solcher operativer Eingriff abgelehnt werden, wenn er zu schwierig und/oder zu gefährlich ist (oder auch zu hohe und unzumutbare Kosten verursacht).
Das zweite Prinzip, welches hier ebenfalls greift, ist das christliche Gebot der Nächstenhilfe. Einem Christen ist es ja klar, dass er seine Hilfe anbieten soll, um einem wie auch immer in Not geratenen Menschen beizustehen. Aber auch da wird diese Hilfsbereitschaft sowohl durch die Gegebenheiten der konkreten Situation als auch durch die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten begrenzt. Es kann von einem natürlich nichts Unzumutbares verlangt werden.
Wenn aber dem Menschen trotz allem doch eine gewisse Verfügungsgewalt über seinen Körper zugestanden werden kann und muss, dann ist es wohl folgerichtig, dass er auf eine solche Weise ein Organ spenden dürfte, dass weder seine Gesundheit generell im nennenswerten Umfang negativ beeinträchtigt werde noch seine körperliche wie geistig-seelische Leistungsfähigkeit einen markanten Einbruch erleidet. Unter den katholischen Moraltheologen scheint daher ein weitestgehender Konsens zu herrschen, dass solche Organe gespendet werden dürften, welche man doppelt besitzt und nach einer eventuellen Spende selbst auch mit einem dieser Organe gut leben kann. Dies betrifft zum Beispiel die Spende einer Niere, zumal ja der Mensch auch mit einer Niere ziemlich unbeeinträchtigt leben kann, und auch der chirurgische Eingriff der Nierenentnahme beim Spender selbst mit dem Fortschritt der Medizin heute in der Regel nicht (mehr) mit ernsthaften geschweige denn tödlichen Folgen verbunden ist.
So erlauben auch alle katholischen Theologen die Spende von Blut. Zumal da ja nur eine solche Menge Blutes genommen wird, dass der Körper des Spenders daraufhin nicht übermäßig belastet wird und sich relativ schnell regenerieren kann. (Wie mir ein bekannter und inzwischen über 150-facher Blutspender berichtete, werde in deutschen Blutspendeeinrichtungen maximal vier Mal im Jahr je 500 ml Blut genommen.) Man kann die Menschen eigentlich nur ermuntern, diese Art von Liebesdienst am Nächsten zu praktizieren. Zumal man sehr wohl davon ausgehen darf und kann, dass auch die medizinischen Anforderungen an die Blutspender hierzulande sehr hoch sind.
Allerdings findet die Erlaubtheit der Organspende da generell ihre Grenze, wo sie etwa gewerbsmäßig-kriminell oder auch “nur” zum Zweck der eigenen Bereicherung betrieben werden soll! Wenn z.B. die Armut der Leute ausgenützt werde, um an ihre Organe zu kommen, dann ist eine solche “Organspende” zweifelsohne höchst unsittlich und auf keinen Fall moralisch zu rechtfertigen. Und wie man sich z.B. auch nicht aufgrund der eigenen Armut prostituieren darf, so ist es ebenfalls nicht zu legitimieren, wenn jemand seine Organe letztendlich nur deswegen hergibt, weil er wegen seiner extremen Armut auf das betreffende Geld angewiesen sei. Das eigentliche Motiv der moralisch legitimen Organspende darf immer nur die aufrichtige Nächstenliebe sein!
In diesem ganzen Zusammenhang spielt natürlich auch die Frage des Vertrauens zum betreffenden medizinischen System (des jeweiligen Landes) bzw. zu dem in Frage kommenden medizinischen Personal eine große Rolle! Es ist nur verständlich, wenn sich jemand durch etwaige kriminelle Machenschaften der Ärzteschaft bzw. der betreffenden Organisatoren vom Organspenden abgeschreckt fühlt, wie z.B. kürzlich solche “Unregelmäßigkeiten” im Zusammenhang mit einer Göttinger Klinik allgemein bekannt geworden sind. Daher muss man wohl jedem Menschen auch das Recht zubilligen, selbst in Entsprechung zum eigenen Wissen und den eventuellen Erfahrungen mit dem betreffenden System zu entscheiden, ob er seine Organe spenden möchte oder nicht. Einen allgemeine Zwang kann man bei einer solchen sensiblen Frage wohl nicht ausüben.
Organspende im Falle des Todes eines potentiellen Spenders. Für diesen Fall gelten natürlich ebenfalls die oben angeführten Grundsätze des Gebotes der Nächstenliebe und des Verbotes gewerbsmäßig-krimineller Machenschaften. Gleichermaßen darf (und soll) in diesem Fall die Entscheidung pro oder contra Organspende auch in Abhängigkeit von vorhandenem oder fehlendem Vertrauen in das betreffende medizinische System und die Ärzteschaft genommen werden. Denn wenn jemand z.B. aufgrund bestimmter entsprechender Informationen befürchten muss, dass man ihn, wenn er etwa in einen kritischen Zustand kommt, medizinisch viel zu schnell aufgibt, um nur seine Organe zu Zwecken der Transplantation zu nutzen, dann kann man einem solchen Menschen wohl kaum einen Vorwurf machen, wenn er sich gegen die Organspende aussprechen sollte. Ähnliches gilt wohl auch für den Fall, wenn Grund zur Befürchtung vorliegen sollte, man werde dann zu schnell oder zu primitiv nur als eine Art “Ersatzlager” betrachtet.
Selbstverständlich darf die Organentnahme auch nicht gegen den zu Lebzeiten gegenteilig geäußerten Willen des Verstorbenen erfolgen. Solange aber vom Verstorbenen überhaupt keine diesbezügliche vorherige Willensbekundung bekannt sein sollte, dürften - moraltheologisch gesehen - wohl die nächsten Angehörigen eine entsprechende Entscheidung pro oder contra treffen.
Die entscheidende Frage, die sich im Fall der Organspende nach dem Tod stellt, ist aber wohl, ab wann denn der Mensch tot ist, zu welchem Zeitpunkt genau der Tod eines Menschen und somit eines potentiellen Organspenders vertretbarerweise festgestellt werden kann und darf! Liegt der Tod eines Menschen vor, wenn das Herz aufhört zu schlagen (Herztod)? Oder bereits dann, wenn zwar keine Hirnströme mehr gemessen werden können (seit einer bestimmten Zeit), aber die übrigen Organe biologisch noch sehr wohl funktionieren und eben durch Maschinen “am Leben” erhalten werden (Hirntod)? (Man verwechsele den Hirntod bitte nicht mit dem Koma-Zustand eines Menschen, bei welchem sehr wohl auch noch Gehirntätigkeit gegeben ist!)
Sicher ist die Frage nach dem Zeitpunkt des Todes eine äußerst sensible Angelegenheit und beschäftigt daher nicht zufällig viele Geister bzw. beunruhigt zahlreiche Gemüter. Letztendlich wird man sich als gläubiger Katholik bei dieser Frage grundsätzlich nur auf ein entsprechendes autoritatives Urteil eines rechtmäßigen Papstes stützen können. Was konkret sagt denn die Kirche dazu?
Am 24. November 1957 wandte sich Papst Pius XII. im Hinblick auf den “Hirntod” und die “Organtransplantation” an den Internationalen Kongress der Anästhesisten und unterstrich dabei die Bedeutung deren fachmännischen Einschätzung der medizinischen Sachlage: “Es bleibt die Aufgabe der Ärzte, und hier speziell der Anästhesisten, eine klare und genaue Definition von ‘Tod’ und dem ‘Zeitpunkt des Todes’ eines Patienten zu geben, der im Zustand der Bewusstlosigkeit stirbt.”
Ferner richtet Pius XII. folgende Fragen an die Anästhesisten: “Ist der Tod bereits eingetreten nach einem schwerwiegenden Trauma des Gehirns, welches eine tiefe Bewusstlosigkeit und die Lähmung der Atmung verursacht hatte, obwohl deren fatale Folgen nichtsdestoweniger durch künstliche Beatmung verzögert werden? Oder tritt er nur dann ein, in Entsprechung zur gegenwärtigen Meinung der Ärzte, wenn die Atmung komplett aufhört, ungeachtet der fortdauernden künstlichen Beatmung?”
“Wo die Bestätigung des (Todes)Falles in einzelnen Fällen betroffen ist, kann die Antwort (auf die beiden vom Papst gerade gestellten Fragen - Anm. der Red.) nicht von irgendeinem religiösen oder moralischen Prinzip abgeleitet werden, und fällt somit, unter diesem Gesichtspunkt, nicht in den Verantwortungsbereich der Kirche. Bis die Antwort gegeben werden kann, muss die Frage offen bleiben.”
Pius XII. hat seine betreffende Stellungnahme nach dem Stand der Naturwissenschaft und Technologie des Jahres 1957 abgegeben. Inzwischen, 55 Jahre später, hat die Medizin gerade auf dem Gebiet der Hirnforschung große Fortschritte gemacht. So wäre damals auch an bestimmte Gehirnoperationen, die in der Gegenwart möglich sind, überhaupt nicht zu denken gewesen. Vor allem aber, und das ist für uns hier wichtig, wusste man damals noch nicht so viel über den Hirntod (des ganzen Gehirns, eingeschlossen des Gehirnstammes).
Wenn man unter Berücksichtigung der betreffenden Stellungnahmen des Papstes die Tatsache heranzieht, dass die allermeisten der heutigen Ärzte offensichtlich den Hirntod als den Zeitpunkt des Todes setzen, dann spricht auch für uns, glaubenstreue Katholiken, einiges dafür, den Zeitpunkt des Hirntodes als den Augenblick des Todes und somit der Trennung von Leib und Seele anzusehen. Interessant ist ebenfalls, dass derselben Meinung auch die Mehrheit jener Ärzte ist, die erklärte und überzeugte Gegner der Abtreibung sind!
Auch wenn wir uns alle wünschen, dass eines guten Tages eine ganz klare und definitive Entscheidung der katholischen Kirche zu dieser speziellen Frage vorliegen werde, handelt man wohl nicht unmoralisch, wenn man sich auch bei der Frage nach der Organspende im Fall des eigenen Todes am Hirntod als dem Zeitpunkt des Ablebens orientiert. Das natürlich nur sofern, dass auch alle anderen wesentlichen Voraussetzungen vorliegen.
Ist dadurch der Glaube an die Auferstehung am Jüngsten Tag betroffen? Was soll man aber auf den Einwand entgegnen, durch die Zustimmung zur Organspende würde man gegen den Glauben der Kirche an die Auferstehung am Jüngsten Tag verstoßen? Denn zu unserem katholischen Glauben gehört ja ebenfalls ausdrücklich, dass am Ende der Zeiten neben der Seele eines (geretteten) Menschen auch sein Leib an der Herrlichkeit des Himmels teilnehmen soll. Wie solle dies aber möglich sein, wenn die eigenen Organe zuvor bereits anderen Menschen eingepflanzt worden sind?
Nun, das Fehlen eines oder sogar mehrerer der eigenen Organe macht den Menschen grundsätzlich nicht irgendwie unvollständig oder etwa weniger wertvoll. Denn wenn einem Patienten bei einer Operation seine Milz, der Magen, die Lunge oder auch ein Finger, eine Hand oder ein Fuß - ob nun teilweise oder sogar ganz - entfernt werden, bleibt er ja nicht weniger Mensch als jemand, der im Besitz aller seiner inneren wie äußeren Organe den Weg in die Ewigkeit antritt. (Es wäre ja absurd, wollte man eventuell die herausoperierten Organe unbedingt einsammeln, sie aufbewahren und sich dann ins Grab legen lassen.) Bei dieser Frage geht es ja nicht um irgendeine numerische Zahl (von Organen), sondern um das Wesen des Menschen!

P. Eugen Rissling

 

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